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Hoppelschnell sucht seinen Mut (verfasst von Nicole Krähenmann)

Es war einmal ein kleiner Hase. Dieser Hase war der schnellste Hase auf der Wiese. Deshalb hiess er auch Hoppelschnell. Aber ausser seiner Familie nannte ihn niemand so. Nein, alle anderen nannten ihn «Angsthase». Und es stimmte schon auch. Denn, Hoppelschnell hatte vor allem Angst und bei jedem noch so geringsten Geräusch zuckte er zusammen. Dann hoppelte er entweder so schnell davon, wie er konnte, oder er erstarrte und konnte sich nicht vom Fleck bewegen.

 

Lange Zeit ging das so. Aber je älter er wurde, desto mehr belastete seine Angst HOppelschnell. Er merkte, dass er wegen seiner Angst auch viele tolle Sachen verpasste. Er hatte es satt, dass er der Angsthase war. Und so entschied er an dem Tag, an dem diese Geschichte ihren Anfang nimmt, dass sich etwas ändern muss.

 

Er wollte mutig werden. So mutig wie viele seiner Freunde auf der Wiese und im Wald. Er hoffte, dass man lernen kann mutig zu sein. Lange dachte er darüber nach und dann nickte er zu sich selbst und murmelte: „Ich muss jemanden finden, der mir helfen kann, mutig zu sein. Der mir zeigt, wie ich meinen Mut finde. Damit ich keine Angst mehr haben muss.“

 

Also hoppelte Hoppelschnell los. Zuerst wusste er nicht, wohin er gehen sollte. Wer könnte ihm beibringen, mutig zu sein? Doch als er darüber nachdachte, fiel ihm sofort seine Freundin Sausewind ein. Sausewind war ein Eichhörnchen, und sie hatte ihm schon oft erzählt, wie sie in den hohen Bäumen klettert. Das war für Hoppelschnell schon unvollstellbar. Aber als sie ihm dann auch noch erzählte, dass sie in den hohen Ästen manchmal auch vor dem Marder wegrennen muss, weil der sie schnappen will, wusste Hoppelschnell, dass Sausewind mutig ist.

 

Also machte er sich auf den Weg zu jener Tanne, in der Sausewind hoch oben ihren Kobel hatte. Er klopfte an die Tanne und rief: „Sausewind, Saaausewind!“

 

„Wer ruft mich?“, hörte er von weit oben.

 

„Ich bin’s, dein Freund Hoppelschnell.“

 

Es dauerte gar nicht lange, da stand Sausewind auch schon vor ihm und schaute ihn überrascht an:

 

„Was machst du denn hier so allein, so tief im Wald? Du weisst doch, dass das gefährlich sein kann!»

 

„Ach Sausewind. Ich habe es satt, so viel Angst zu haben. Ich möchte kein Angsthase mehr sein. Deshalb suche ich jemanden, der mir beibringen kann, mutig zu sein. Und da habe ich an dich gedacht, Sausewind. Du erzählst ja immer, wie du dem Marder entkommst. Und das finde ich mutig.“

 

„Ja, aber ich kann dir doch nicht beibringen, wie man mutig ist. Ich muss einfach vor dem Marder davonflitzen, wenn der mich schnappen will. Ich habe ja keine andere Wahl. Ausserdem weiss ich, dass ich gut klettern kann und die Bäume besser kenne als der Marder. Aber du kannst ja nicht klettern. Das kann ich dir nicht beibringen. Vielleicht fragst du lieber Stachelball? Der lebt wie du auf dem Boden.“

 

„Hmm, ja, da hast du recht. Ich kann wirklich nicht klettern. Dann frage ich lieber Stachelball. Gute Idee. Danke, Sausewind!“

 

Der Hase und das Eichhörnchen verabschiedeten sich, und Sausewind kletterte flink wieder den Baum hinauf.

 

Dann hoppelte Hoppelschnell weiter durch den Wald. Es dauerte nicht lange, da kam er zu einem Laubhaufen. Du musst wissen: Diese Gschichte spielt im tiefen Herbst und Hoppelschnell wusste, dass Stachelball in diesem Laubhaufen lebt.

 

Hoppelschnell stellte sich also vor den Laubhaufen und rief: „Stachelball, bist du da?“

 

Zuerst passierte nichts. Doch dann sah Hoppelschnell, dass sich etwas bewegt. Eine kleine schwarze Stupsnase guckte aus dem Blätterhaufen: „Ich bin gerade erst schlafen gegangen. Wer weckt mich denn jetzt schon wieder auf?“

 

„Ich bin’s, Hoppelschnell. Ich habe eine Frage an dich.“

 

Da kam der Igel ganz aus seinem Laubhaufen und sagte gähnend zu Hoppelschnell: „Nur wenn’s nicht lange dauert.“

 

„Jaja, ich fasse mich kurz. Ich wollte von dir wissen, wie du es schaffst, mutig zu sein. Ich bin ja ein kleiner Angsthase, aber jetzt such ich meinen Mut.“

 

Der Igel dachte nach, dann antwortete er: „Ich habe auch oft Angst. Aber wenn ich mich zu einer Kugel zusammenrolle, dann schützen mich meine Stacheln.“

 

Hoppelschnell wurde traurig: „Aber ich habe keine Stacheln.“

 

„Dann kann ich dir auch nicht helfen, tut mir leid. Ich geh wieder schlafen und wünsche dir einen guten Winter.“ meinte der Igel und verschwand in seinem Laubhaufen.

 

Hoppelschnell liess die Ohren hängen. Er wusste nicht, wer ihm jetzt noch helfen könnte, seinen Mut zu finden.

 

Da hörte er plötzlich ein Geräusch hinter sich. Jemand hatte sich ganz leise angeschlichen, und Hoppelschnell bekam grosse Angst. Sein ganzer Körper zitterte, und er wünschte sich, er hätte Stacheln oder könnte schnell auf einen Baum flüchten.

 

Als er die Spannung nicht mehr aushielt, fragte er leise: „Wer ist da?“

 

Da hörte er eine Stimme hinter sich: „Ich bin der Fuchs Rotpelz. Und ich habe gehört, was du den Igel gefragt hast.“

 

„Bist du gekommen, um mich zu fressen?“, wollte Hoppelschnell wissen.

 

„Nein, heute nicht. Ich habe schon gegessen. Aber ich hätte einen Tipp für dich. Im mutig sein kenne ich mich aus.“

 

„Du hast einen Tipp für mich?“, wiederholte Hoppelschnell. Er traute seinen Ohren kaum. Der Fuchs wollte ihm helfen  und ihn nicht fressen? Hatte man sowas schon einmal gehört? Aber gleichzeitig war er auch neugierig und fragte: „Was ist das für ein Tipp?“

 

Der Fuchs meinte überlegen: „Es ist ganz einfach: Du musst dich jeweils leise anschleichen und dann wieder leise wegschleichen. Dann musst du nie Angst haben, dass dir jemand etwas tut. Denn sie hören dich gar nicht.“

 

Hoppelschnell schüttelte den Kopf: „Aber ich kann nicht leise schleichen, ich bin ein Hase und kein Fuchs.“

 

„Bist du denn schlau und kannst dir immer neue Dinge ausdenken, damit dich niemand schnappen kann?“, wollte der Fuchs nun wissen.

 

„Nein, auch nicht wirklich.“

 

„Tja, dann kann ich dir auch nicht weiterhelfen“, sagte Rotpelz und verschwand so leise, wie er gekommen war.

 

Hoppelschnell atmete beruhigt aus. Diese Begegnung mit dem Fuchs war doch etwas zu viel für seine Nerven gewesen. Aber er lebte noch. Der Fuchs hatte ihn nicht gefressen. Das war doch immerhin etwas. Er überlegte schon, dass er sich wohl besser auf den Heimweg machen sollte, bevor es sich der Fuchs anders überlegt. Doch in diesem Moment hörte er etwas: Ein Jaulen und Heulen.

 

Hoppelschnell wusste genau, wer diese Geräusche machte und er wollte schnellstmöglich davon hoppeln. Aber vor lauter Angst konnte er sich nicht mehr bewegen.

 

„Ich habe dich schon von weitem gerochen. Was suchst du in meinem Teil des Waldes, Hase?“, hörte er da eine tiefe Stimme fragen. Hoppelschnell konnte nicht antworten. Im nächsten Moment trat ein grosser Wolf aus dem Gebüsch vor ihm.

 

Der Wolf schlich um ihn herum und fragte nochmals: „Ich habe dich gefragt, was du hier zu suchen hast, Hase!“

 

Hoppelschnells Herz pochte wie wild. Er atmete tief durch und flüsterte dann: „Ich suche meinen Mut. “

 

„So so… deinen Mut suchst du. “, der Wolf lachte und sein Lachen jagte dem Hasen einen Schauer über den Rücken. Der Wolf leckte sich über die Lippen und meinte: «Ich weiss nicht, ob du deinen Mut hier finden wirst. Der Wald ist gefährlich für Tiere wie dich.“

 

Hoppelschnell schluckte. Er überlegte fieberhaft, wie er den Wolf davon abhalten könnte, ihn zu fressen. Das einzige das ihm einfiel, war den Wolf abzulenken und so sagte er: „Ja ich weiss, dass der Wald gefährlich ist. Ich hab auch grosse Angst. Ich bin ja ein Angsthase. Aber genau deshalb suche ich ja meinen Mut. Wie machst du denn das mit dem mutig sein?“

 

„Mutig? Hm, ich verlasse mich einfach auf meine Nase und meine Ohren. Dann weiss ich immer, wenn jemand in meiner Nähe ist, der mir gefährlich werden könnte. Und wenn mir trotzdem jemand zu nahe kommt, habe ich ja immer noch meine scharfen Zähne.“

 

Die besagten Zähne des Wolfes waren nun sehr nahe an Hoppelschnell dran. Der Hase schloss die Augen und war sich sicher, dass jetzt dann gleich alles aus sein würde.

 

Aber in diesem Moment reckte der Wolf seine Nase in den Wind und schnüffelte. Hoppelschnell blickte ihn verwirrt an. Dann riss der Wolf seine Augen auf, klemmte seinen Schwanz zwischen die Beine, und er murmelte: „Ich muss los.“ Dann rannte er davon.

 

Hoppelschnell blieb erstaunt zurück. Was hatte der Wolf wohl gerochen?

 

Doch noch während er sich das fragte, hörte er schwere Schritte im Wald. Etwas Grosses kam auf ihn zu, und er wusste nicht, was er tun sollte. Ein Tier vor dem der Wolf geflohen ist, ist sicher nichts, womit sich ein Hase anlegen kann. Aber das Tier hatte ihn sicher bereits bemerkt und fliehen war sowieso keine Option, da ihm seine Beine einmal mehr den Dienst versagten.

 

Und so rief er mit zittriger Stimme: „Wer ist da im Wald?“

 

Da trat ein Bär zwischen den Bäumen hervor: „Ich bin’s, der Brummbär. Und wer bist du, kleiner Fratz?“

 

„Ich bin der Angsthase.“

 

„Aha, ein Angsthase also. Das glaube ich nicht. Ein Angsthase wäre weggelaufen und hätte nicht gefragt, wer ich bin.“

 

„Also, eigentlich heisse ich Hoppelschnell. Aber ich bin schon ein richtiger Angsthase. Alle sagen das. Und du siehst ja, dass ich Angst habe vor dir und zittere. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich weggerannt. Aber da du schon mal hier bist, vielleicht kannst du mir helfen. Du bist ja der Grösste und Stärkste hier im Wald.“

 

Der Bär beugte sich interessiert zu dem kleinen Hasen hinunter: „Wobei soll ich dir denn helfen?“

 

„Kannst du mir beibringen, mutig zu sein?“

 

Der Bär dachte nach. Dann brummte er: „Nein, das kann ich nicht. Ich brauche nur selten Mut. Alle hier im Wald wissen, dass ich gross und stark bin. Deshalb rennen sie jeweils weg wenn sie mich hören oder sehen. Dabei bin ich ganz freundlich und würde gern öfter mal plaudern. Hrmph, tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen.“

 

„Schade – aber danke trotzdem!“, meinte Hoppelschnell freundlich.

 

„Gern geschehen. Und danke dir, dass du nicht vor mir davon gerannt bist. So, jetzt mach ich mich auf den Weg zu meiner Winterhöhle. Bald ist es Zeit zu schlafen. Tschüss, Hoppelschnell!“

 

 

Und mit diesen Worten verschwand der Brummbär wieder im Wald.

 

Zurück blieb ein trauriger kleiner Hoppelschnell: „Wie soll ich je mutig werden, wenn mir niemand zeigen kann, wie ich das als Hase machen muss?“ Doch in diesem Moment hörte er etwas:

 

„Hilfe! Hilfe!“. Jemand schrie verzweifelt um Hilfe.

 

Ohne nachzudenken, hoppelte Hoppelschnell so schnell los, wie er nur konnte und das war sehr schnell. Er kam auf eine Waldlichtung und sah, dass dort eine Maus stand. Über der Maus kreiste ein Raubvogel, bereit sich die Maus zu schnappen.

 

Hoppelschnell sprang zur Maus, stellte sich schützend vor sie und rief dem Raubvogel zu: „Verschwinde! Hier gibt es nichts für dich zu holen!“

 

Der Raubvogel, der keine Lust hatte, sich mit zwei Tieren anzulegen flog verärgert davon.

 

Hoppelschnell konnte es kaum glauben.


Er holte tief Luft, drehte sich zur Maus um und fragte: „Geht’s dir gut?“

 

„Ja! Wegen dir! Weil du so mutig warst und mir geholfen hast! Der Raubvogel hätte mich gefressen, wenn du nicht gekommen wärst. Ich bin Pieps – und wer bist du?“

 

„Ich bin Hoppelschnell. Moment mal! Hast du gerade gesagt, ich sei mutig?“

 

 

Die Maus sah den Hasen erstaunt an: „Natürlich! Du hast mich gehört und bist gekommen, um mir zu helfen. Und dann hast du erst noch den Raubvogel vertrieben.“

 

Hoppelschnell verstand die Welt nicht mehr: „Aber ich war doch gar nicht mutig. Ich hatte furchtbare Angst, dass er uns beide angreift und frisst.“

 

Pieps dachte kurz nach und erklärte dann: „Angst ist etwas Gutes. Angst warnt uns vor gefährlichen Dingen. Und ohne Angst, gibt es keinen Mut. Denn mutig ist nicht der, der nie Angst hat. Nein, mutig ist, wer Angst hat und trotzdem etwas tut. Wer es schafft, seine Angst zu überwinden, wenn es nötig ist. Und du, mein Freund, warst sehr mutig. Vielen, vielen Dank!“

 

Jetzt verstand Hoppelschnell endlich, was Mut ist.

 

Er begriff, dass er kein Angsthase ist, wenn er einmal vor etwas Angst hat. Sondern dass er ein Muthase ist, wenn er es schafft diese Angst zu überwinden.

 

Endlich hatte er seinen Mut gefunden.
Der hatte schon immer in ihm gesteckt.
Genau dort, wo sich auch seine Angst befindet. Denn ohne Angst gibt es keinen Mut.

 

Und diese Erkenntnis machte ihn sehr sehr glücklich.

 

 

Wenn du die Geschichte "Der Hase Hoppelschnell sucht seinen Mut" öffentlich vorlesen/abgeben willst, bitte ich dich um Kontaktaufnahme mit mir.
Denn anders als bei den Volksmärchen liegen die Rechte dieser Geschichte bei mir. Danke!


Phu, diese Geschichte hier zu posten, braucht nun doch auch etwas Mut :-). Denn sie stammt aus meiner eigenen Feder und entstand für das Album "MärchenKoffer macht Mut" das Ende Oktober 2024 erschienen ist. Du kannst hier einen Trailer davon anhören oder es hier bestellen.

Es ist eine Geschichte, die mich schon lange begleitet hat. Wie Hoppelschnell habe auch ich erst vor Kurzem gelernt, was Mut bedeutet. Dass ich tatsächlich ein sehr mutiger Mensch bin, weil ich häufig Dinge tue, vor denen ich riesige Angst habe... einfach im Wissen, dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht tun würde.

 

Diese Geschichte eignet sich dazu:

- sich zu überlegen was "mutig sein" für einen selbst bedeutet und wann man schon mal mutig war

- etwas wählen, das man schon lange tun wollte und Angst davor hat...und es dann einfach tun.

- die Geschichte nachspielen und ev. auch andere Tiere einbinden

- etwas herstellen, das Mut schenkt (z.B. bemalter Stein, Armband knüpfen, ...)

 

 

 

MärchenKoffer Nicole Krähenmann  | 8635 Dürnten ZH | brief@maerchenkoffer.ch