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Die Fee der Feen (Rumänien)

Vor langer Zeit lebte einmal ein grosser und mächtiger Kaiser, der hatte drei Söhne. Als diese alt genug waren, um zu heiraten, rief der Vater sie eines Tages zu sich und sprach: «Liebe Söhne, ihr seid nun alt genug, um euch eine Braut zu suchen. Nehmt euren Bogen, spannt ihn und dort, wo euer Pfeil niederfällt, sollt ihr euer Glück finden.» Da nahm jeder der drei Söhne seinen Bogen, spannte ihn und schoss. Der Pfeil des Ältesten traf das Dach vom Kaiserpalast im Nachbarreich. Der Pfeil des zweiten Sohnes traf das Schlosstor eines benachbarten Grafen. Der Pfeil des Jüngsten aber flog geradewegs in den Himmel und verschwand schliesslich in einem Wald am Horizont. Der älteste Bruder machte sich auf die Suche nach seinem Pfeil und brachte die Tochter des Kaisers als Braut mit. Der zweite ritt zum Schloss des Grafen und führte dessen Tochter heim. Auch der jüngste Bruder zog aus, seinen Pfeil zu suchen. Er irrte lange durch die Welt, bis er endlich den grossen Wald erreichte. Er suchte rechts, er suchte links und hielt nach allen Seiten Ausschau und endlich sah er seinen Pfeil im Wipfel einer hohen Eiche, aber so hoch, so hoch, dass er nicht wusste, wie er ihn herunterholen sollte. Mit aller Kraft kletterte er den Baum hoch, höher und höher, bis in die Krone hinauf und da steckte sein Pfeil neben einer kleinen Höhle im Stamm der Eiche.

 

Er zog den Pfeil aus dem Holz, hielt ihn in der Hand und dachte an die weite Reise, die er ganz vergeblich unternommen hatte. Langsam kletterte er vom Baum herunter und wollte gerade auf den weichen Boden springen, als auf einmal eine Nachteule aus der Baumhöhle flatterte und sich auf seinen Schultern niederliess. Erschrocken wollte der junge Mann die Eule verscheuchen, doch je mehr er sich wehrte, umso fester hielt sich die Eule mit ihren Krallen an seinen Schultern fest. Schliesslich gab er entmutigt auf und beschloss, mit der Nachteule auf den Schultern zu seinem Vater zurückzukehren.

 

Kaum war er ein paar Schritte gegangen, kamen sechs weitere Eulen und umflatterten ihn den ganzen Weg.

 

Am Palast angekommen, schlich er heimlich in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Da flogen die sechs Eulen oben auf den Schrank, während es sich die siebente auf dem Bett bequem machte. Der junge Mann war so müde, dass er sich nicht einmal mehr die Mühe machte, die Eule vom Bett zu verscheuchen. Erschöpft fiel er in einen tiefen Schlaf.

 

Als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war da keine Eule mehr. Neben ihm in seinem weichen Bett mit den seidenen Vorhängen lag eine wunderschöne Fee und um das Bett standen sechs Dienerinnen, die fragten nach ihren Wünschen. Der junge Mann kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und so schnell es ging, führte, er die Fee in den grossen Saal, um seinem Vater die wunderschöne Braut vorzustellen. Alle bewunderten die zarte, himmelsgleiche Gestalt, und bald wurde Hochzeit gefeiert.

 

Das junge Paar lebte glücklich, doch niemals konnte der Sohn des Kaisers vergessen, dass seine Frau in Eulengestalt zu ihm gekommen war. Eines Tages lud der Kaiser zu einem Fest ein und als alle beim Tanzen waren, ging der Prinz heimlich in sei Gemächer, nahm die Federkleider und warf sie ins Feuer. Dann kehrte er in den Festsaal zurück. Bald zog der Geruch der verbrannten Federn über den Palast und eine der Dienerinnen hob den Kopf und rief: «Herrin, Herrin! Wir sind verraten!»

 

Sogleich verliess die Fee mit ihren Gefährtinnen den Saal. Sie verwandelten sich in Tauben und die siebente rief dem Prinzen zu: «Du warst undankbar und hast mich verraten. Nun sollst du mich nicht wiedersehen, es sei denn, du findest mich im Palast der Feen, und das ist noch keinem Menschen auf der Welt gelungen.» Nach diesen Worten erhoben sich die Tauben, flogen dem Himmel zu und waren schon bald verschwunden.

 

Am nächsten Morgen verabschiedete sich der junge Mann in der Frühe von seinem Vater und machte sich auf die Suche nach seiner Frau. Er ging lange, er ging weit, er ging über Hügel und durch Täler und das Herz schmerzte ihm vor Sehnsucht nach der Fee, doch nirgends fand er eine Spur von ihr.

 

Eines Tages kam er in ein Tal, seine Füsse schmerzten von der langen Reise und er war so müde, dass er sich unter einen alten Baum legte, um sich auszuruhen. Bad war er tief eingeschlafen. Auf einmal weckten ihn Stimmen. Da sah er drei Rıesen, die stritten heftig miteinander. Er trat auf sie zu und fragte: «Warum streitet ihr euch?»

 

«Ach», sagte der Älteste, «unsere Eltern sind gestorben und haben uns drei Dinge überlassen und wir können uns nicht einigen, wem sie gehören sollen. Es sind ein Paar Stiefel, eine Mütze und eine Peitsche.»

 

«Wegen solch lumpiger Sachen wollt ihr euch streiten?», wunderte sich der junge Mann.

 

«Das sind keine lumpigen Sachen. Es sind Zauberdinge. Wer die Stiefel trägt kann damit trockenen Fusses durch das Meer laufen, wer die Mütze auf den Kopf setzt, wird unsichtbar, und wer mit der Peitsche knallt, verwandelt seine Feinde in Felsen.»

 

«Das sind wirklich kostbare Dinge», sprach der Jüngling. «Wenn ihr wollt, kann ich euch helfen. Seht ihr die drei Berge dort hinten? Wer zuerst einen der Giptel erreicht, soll die drei Wunderdinge bekommen.»

 

Die drei Riesen waren einverstanden. Sie übergaben dem jungen Mann die Zauberdinge und machten sich in Riesenschritten auf zu den Bergen.

 

Dem Prinzen aber wurde die Zeit lang Er schlüpfte in die Stiefel, um zu schauen, ob sie passten. Dann setzte er sich die Mütze auf den Kopf und zum Zeitvertreib schlug er einmal mit der Peitsche. In diesem Moment waren die drei Riesen an den Bergen angekommen und wurden augenblicklich in grosse Felsen verwandelt, man kann sie heute dort noch sehen.

 

Mit der Mütze war der Prinz nun unsichtbar und mit den Zauberstiefeln hatte er im Nu tausend Schritte gemacht. Er durchquerte Flüsse und Seen, Wüsten und Meere, bis er zu einem hohen Berg kam, dessen Spitze die Wolken berührte.

 

Auf einmal bemerkte er sieben Tauben, die zogen in der Luft ihre Kreise und verschwanden in den Wolken. Da wusste er, welche Richtung er einschlagen musste. Er bestieg den Berg und kam zu einem Felsengewölbe. Dort ging er unbemerkt hindurch und stand auf einmal vor einem riesigen Palast, umgeben von einem prächtigen Garten. Zwischen den Blumen und Kräutern sah er die Fee mit ihren Gespielinnen spazieren und ein kleiner Knabe begleitete sie und versuchte, Schmetterlinge zu fangen.

 

Da fühlte sich der Prinz so unsagbar froh und das Herz wurde ihm schwer, weil er nicht wusste, wie er sich zeigen sollte, denn noch war er unsichtbar. Er folgte ihnen durch den Garten und in einem Moment hob er ein wenig die Zaubermütze. Da rief der Junge: «Mutter, der Vater ist da!»

 

Die Fee seufzte und sprach: «Du träumst. Niemals wird er uns finden.»

 

Da hob der Prinz die Mütze abermals und der Junge rief: «Mutter, schau doch: Vater ist da!»
Und als die Fee ihre Augen hob, nahm der Prinz die Mütze ab und mit Freuden schlossen sich alle in die Arme. «Wie konntest du uns finden?», wollte die Fee wissen und er erzählte alles, was er erlebt hatte.

 

So lebten sie glücklich zusammen im Feenpalast. Nach einiger Zeit bekam der Kaiserssohn jedoch Sehnsucht nach dem Vater und sie machten sich auf den langen Weg nach Hause.

 

Der Vater war inzwischen alt und schwach geworden und freudig begrüsste das Volk den Prinzen, der dem Kaiser auf den Thron folgte.

 

Der junge Kaiser und die schönste der Feen lebten lange und glücklich und wir, die wir die Geschichte kennen, haben auch ein Stück von ihrem Glück bekommen.

 

Aus: Kindermärchen aus aller Welt Djamila Jaenike, Mutabor Verlag 2015


Ein Zaubermärchen mit allem was dazugehört, oder? Besonders schön finde ich auch den Schluss. Somit habt auch ihr, die ihr die Geschichte gelsen habt, nun ein Stück vom Glück des Kaisers und seiner Feenfrau abgekommen!

 

Dieses Märchen eignet sich herrlich, um:

- ein Anschleichspiel zu spielen: Wer schafft es die Mütze zu erreichen, ohne dass er/sie gesehen wird?
- mit den Stiefeln in Gedanken um die Welt zu reisen

- Eulen und Tauben zu zeichnen oder basteln

- Den Weg des Prinzen nachzuspielen.

- Die Geschichte aus der Sicht der Fee nachzuerzählen/aufzuschreiben

 

 

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