Es war einmal eine arme Witwe, die hatte einen Sohn, der Jack hiess, und eine Kuh, die hiess Milchweiss. Jeden Morgen trugen sie die Milch der Kuh zum Markt und verkauften sie.
Aber einmal gab Milchweiss keine Milch mehr, und so wussten sie nicht, was sie tun sollten.
«Was sollen wir nur machen?», klagte die Witwe.
«Mach dir keine Sorgen, Mutter, ich werde fortziehen und Arbeit suchen», sagte Jack.
«Das hast du ja schon einmal versucht», sagte die Mutter, «aber niemand hat dich nehmen wollen. Wir müssen Milchweiss verkaufen und mit dem Geld ein Geschäft anfangen.»
«Gut, Mutter», sagte Jack, «heute ist Markttag, da werde ich Milchweiss gut verkaufen können. Dann wollen wir sehen, was sich machen lässt.»
Also nahm er die Kuh an ihrem Strick und machte sich auf den Weg.
Er war noch nicht weit gegangen, da traf er einen sonderbaren alten Mann, der sagte zu ihm: «Guten Morgen, Jack!»
«Auch Euch einen schönen guten Morgen», sagte Jack und wunderte sich, dass er seinen Namen kannte.
«Nun, Jack, wohin geht’s?», fragte der Mann.
«Auf den Markt, die Kuh verkaufen.»
«Du siehst nicht aus wie ein Bursche, der Kühe verkauft», sagte der Mann. «Ich glaube, du weisst nicht einmal, wie viele Bohnen fünf ergeben.»
«Zwei in deiner Hand und eine in Eurem Mund», sagte Jack schnell.
«Richtig», sagte der Mann, «hier hast du auch die fünf Bohnen.»
Darauf zog er aus seiner Tasche eine Handvoll seltsamer Bohnen. «Lass uns tauschen. Die Kuh gegen die Bohnen.»
«Das würde dir so passen», sagte Jack.
«Ah, du weisst nicht, was für Bohnen das sind.», sagte der Mann. «Wenn du sie am Abend einpflanzt, so sind sie am Morgen bis zum Himmel gewachsen.»
«Ist das wahr?», fragte Jack.
«Ja, und wenn es nicht so ist, bekommst du deine Kuh zurück.»
«Gut», sagte Jack, gab ihm den Strick und steckte die Bohnen in die Tasche.
Jack ging mit den Bohnen nach Hause. «Bist du schon zurück?», fragte die Mutter. «Wie viel hast du für Milchweiss bekommen?»
«Das wirst du nie erraten, Mutter!», sagte Jack.
«Nun, fünfzehn? Zwanzig? Oder gar...»
«Ich habe ja gesagt, du wirst es nie erraten. Bohnen habe ich bekommen. Zauberbohnen! Wenn man sie am Abend einpflanzt, dann wachsen sie über Nacht bis ...»
«Was!», rief da die Mutter. «Du hast unsere Milchweiss für so ein paar lumpige Bohnen eingetauscht? Warte nur! Und die Bohnen, die werfe ich zum Fenster raus! Marsch ins Bett. Und heute wirst du
keinen Löffel Suppe und keinen Bissen Brot bekommen.»
So ging Jack die Treppe hinauf in seine kleine Kammer im Speicher, und ganz gewiss war er wegen seiner Mutter ebenso traurig und bekümmert wie wegen seines verlorenen Abendessens. Endlich schlief
er ein.
Als er am Morgen erwachte, war es ganz sonderbar in seiner Kammer, Die Sonne schien hell in eine Ecke, der Rest lag im Schatten. Jack sprang aus dem Bett, zog sich an und schaute aus dem Fenster,
Und was glaubt ihr, was er da sah? Die Bohnen, da seine Mutter zum Fenster hinausgeworfen hatte, waren zu einer grossen Ranke gewachsen und wanden sich immer höher bis zum Himmel. Er
brauchte bloss das Fenster zu öffnen und einen kleinen Schritt auf die Bohnenranke zu machen, die wie eine grosse Leiter zum Himmel ragte.
Jack kletterte, er kletterte, kletterte, kletterte und kletterte, bis er endlich am Himmel anlangte. Und als er dort war, kam er auf einen langen, breiten Weg, der verlief so gerade wie eine
Schnur. Er ging und ging und ging, bis er zu einem riesengrossen Haus kam, vor dem eine riesige Frau stand.
«Guten Morgen», sagte Jack höflich «Könntet Ihr mir etwas zum Frühstück geben?»
Ihr wisst ja, er hatte kein Abendbrot bekommen und war hungrig wie ein Wolf.
«Ein Frühstück willst du?», fragte die riesige Frau. «Wenn mein Mann, der Riese nach Hause kommt, wirst du selbst sein Frühstück sein!»
«O bitte, Mütterchen, gebt mir etwas zu essen. Es ist mir einerlei, ob ich an Hunger sterbe oder von einem Riesen verspeist werde.»
Die Frau des Riesen führte Jack in die Küche und gab ihm eine grosse Scheibe Brot und Käse und einen Krug Milch. Aber Jack war damit kaum zur Hälfte fertig, als bumm! bumm! jemand beim
Näherkommen solchen Lärm machte, dass das Haus zu zittern begann.
«Ach du meine Güte! Das ist mein Alter!», sagte die Frau des Menschenfressers. «Komm schnell mit und spring hier hinein.»
Und sie steckte Jack in den Backofen, gerade als der Riese hereinkam. Das war aber ein grosser Kerl, ganz gewiss. An seinem Gürtel hatte er drei Kälber gehängt, die war er auf den Tisch. Dann
sagte er: «Fi-fei-fo-fam, ich rieche, rieche Menschenfleisch, sei er lebendig oder sei er tot, ich will seine Knochen zermahlen für Brot.»
«Unsinn», sagte seine Frau, «mach dich sauber, und wenn du zurückkommst, wird dein Frühstück für dich fertig sein.»
So ging der Riese weg. Jack wollte aus dem Backofen herausspringen und fortlaufen. «Warte, bis er eingeschlafen ist», sagte die Riesenfrau.
Der Riese bekam sein Frühstück, danach ging er zu einer grossen Truhe, nahm zwei Säcke mit Gold heraus und zählte, bis ihm der Kopf niedersank und er zu schnarchen anfing, dass es das ganze Haus
erschütterte.
Da kroch Jack auf Zehenspitzen aus dem Backofen. Als er an dem Riesen vorüberschlich, nahm er einen der Goldsäcke unter den Arm und eilte zu der Bohnenranke. Er warf den Sack hinunter in den
Garten seiner Mutter und kletterte abwärts, bis er nach Hause kam. Er erzählte seiner Mutter alles, zeigte ihr das Gold und sagte: «Habe ich mit den Bohnen nicht recht gehabt? Sie haben
wirklich Wunderkraft.»
So lebten sie einige Zeit, aber schliesslich ging das Gold zu Ende. Jack beschloss, noch einmal sein Glück zu versuchen. So stand er eines schönen Morgens zeitig auf, ging zu der Bohnenranke und
kletterte und kletterte und kletterte, bis er wieder zu dem riesigen Haus kam. Und wirklich, da stand auch die riesige Frau wieder vor der Tür. «Guten Morgen Mütterchen», sagte Jack frech,
«könntet Ihr wohl so freundlich sein und mir was zu essen geben?»
«Geh fort, mein Junge», sagte die Frau, «sonst frisst dich mein Mann zum Frühstück auf. Aber bist du nicht der Junge Kerl, der schon einmal hierhergekommen ist? Stell dir vor, an dem gleichen Tag
fehlte meinem Mann einer von seinen Goldsäcken.»
«Das ist merkwürdig, Mütterchen», sagte Jack. «Ich wüsste etwas davon zu erzählen, aber ich bin so hungrigt, dass ich nicht sprechen kann.»
Die riesige Frau war so neugierig, dass sie ihm etwas essen gab. Aber kaum hatte er angefangen zu kauen, da hörte er bumm! bumm! bumm! die Schritte
des Riesen und versteckte sich im Backofen.
«Fi-fei-fo-fam, ich rieche, rieche Menschenfleisch, sei er lebendig oder sei er tot, ich will seine Knochen zermahlen für Brot.»
So rief der Riese und warf drei Ochsen auf den Tisch. Die Riesenfrau beruhigte ihn, und als er gegessen hatte, sagte er: «Bring mir die Henne, die die goldenen Eier legt.»
Sie brachte sie, und der Riese befahl:
«Lege!»
Und die Henne legte ein Ei ganz aus Gold. Dann schlief er ein und fing an zu schnarchen, dass das ganze Haus bebte.
Jack kroch auf den Zehenspitzen aus dem Backofen. Er packte die goldene Henne und eilte davon. Aber die Henne gackerte ein bisschen, und davon wachte der Riese auf. Er rief: «Wo ist meine goldene
Henne?»
Das war alles, was Jack hörte. Er sauste davon zu der Bohnenranke und kletterte schnell nach Hause. Er zeigte seiner Mutter die wunderbare Henne und sagte: «Lege!»
Und die Henne legte ein goldenes Ei.
Es dauerte nicht lange, da beschloss Jack noch einmal sein Glück zu versuchen. Er stand zeitig auf, ging zu der Bohnenranke und kletterte und kletterte und kletterte, bis er zur Spitze kam.
Aber diesmal wartete er hinter einem Busch, bis er sah, wie die Frau des Riesen heraus kam, um Wasser zu holen. Schnell schlüpfte er in das Haus und verbarg sich im kupfernen Kessel. Er
war
noch nicht lange dort, da hörte er schon das bumm! bumm! bumm! und der Riese kam:
«Fi-fei-fo-fam, ich rieche, rieche Menschenfleisch sei er lebendig oder sei er tot, ich will seine Knochen zermahlen für Brot.»
«Wenn es dieser kleine Schurke ist, der das Gold gestohlen hat und die Henne, die goldene Eier legt, dann ist er sicher in den Backofen gekrochen», sagte die Frau des Riesen, und sie schauten in
den Ofen.
Aber da war Jack nicht. Die Riesenfrau setzte ihrem Mann das gebratene Frühstuck vor, aber dieser stand immer wieder auf und durchsuchte die Speisekammer und die Schränke und alles, nur nicht den
kupfernen Kessel.
Als das Frühstück vorüber war, rief der Riese: «Bring mir meine goldene Harfe!»
Sie brachte sie ihm, und der Riese sagte zur Harfe: «Singe!»
Und die goldene Harfe sang ganz wunderschön. Der Riese schlief ein und schnarchte, dass es wie Donner grollte.
Da hob Jack ganz leise den Deckel des Kessels, kroch bis zum Tisch, packte die goldene Harfe und stürzte damit zur Tür. Abe die Harfe rief ganz laut: «Herr! Herr!»
Der Riese wachte auf und sah Jack mit der Harfe davonlaufen. Jack rannte, und der Riese raste hinter ihm her. Als Jack zu der Bohnenranke kam, war der menschenfressende Riese nur noch zwanzig
Schritte entfernt Jack kletterte schnell an der Bohnenrank nach unten. Der Riese stellte einen Fuss auf die Ranke, und sie begann zu schwanken unter seinem Gewicht. Da rief die Harfe wieder
«Herr! Herr!», und so kletterte der Riese ebenfalls abwärts. Jack war schon fast unten da rief er: «Mutter! Bring mir eine Axt!»
Seine Mutter kam mit der Axt in der Hand herausgestürzt, aber als sie zu der Bohnenranke kam, stand sie vor Schreck stockstill denn sie sah den Riesen mit den Beine durch die Wolken
kommen.
Jack packte die Axt und gab der Bohneranke einen Hieb und noch einen, bis die Bohnenranke ganz durchgeschlagen war und anfing umzukippen. Die Ranke fiel zu Boden und mit ihr der Riese, der sich
den Schädel brach.
Jack zeigte seiner Mutter die goldene Harfe, und sie freuten sich daran. Sie verkauften die goldenen Eier, und davon wurden Jack und seine Mutter sehr reich. Er heiratete eine vornehme
Prinzessin, und sie lebten glücklich allezeit.
Quelle: K. Briggs, Englische Volksmärchen, München 1988
Eine Geschichte, die ich schon als Kind kannte und liebte. Und jetzt als Erwachsene mir aber auch ganz ehrlich die Frage stelle, wer in dieser Geschichte denn nun im Recht bzw. Unrecht ist. Ganz so einfach wie mir die Geschichte als Kind vorkam, ist sie für mich nicht mehr. Wie seht ihr das? Hatte Jack ein Anrecht auf die Dinge, die er den Riesen gestohlen hat?
Diese Geschichte eignet sich sicher dazu:
- Bohnen zu setzen und deren Wachstum zu beobachten
- ein Spiel zu spielen in dem man klettert, sich versteckt und schnell rennen soll
- darüber zu sprechen wer denn nun im Recht/Unrecht ist?